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Recht auf würdiges Sterben im Kanton Waadt

Die Kantonsverfassung Waadt garantiert das Recht, in Würde zu sterben (Art. 34 Abs. 2 KV-VD). Dieses verankert die Idee, dass jeder Mensch - soweit möglich - selbstbestimmt entscheiden darf, wo, wann und auf welche Weise er stirbt.
Ein Aspekt dieser Idee ist die Suizidhilfe, die in der Schweiz straflos ist. Zwar ergibt sich dieser Grundsatz auf der Bundesebene aus dem Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und sofern eine Person nicht aus «selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet» (Art. 115 StGB), es gibt aber gerade für Sterbehilfeorganisationen oft lückenhafte Rechtsgrundlagen. Dieser Zustand wurde etwa vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Gross 2013 beanstandet.
Geschichte
Die revidierte Waadtländer Kantonsverfassung wurde im September 2002 von der Stimmbevölkerung angenommen, trat 2003 in Kraft und enthält seither das Grundrecht auf würdiges Sterben. Laut dem Co-Präsident von Exit ADMD Suisse romande, Jean-Jacques Bise, verleiht die Bestimmung «den Menschen im Kanton Waadt zwar kein zusätzliches Recht [gegenüber der Bundesverfassung Art. 7 und Art. 10], sie ist jedoch wichtig, um die Legitimität des Rechts auf Suizidassistenz zu bestätigen.»
Diese Anerkennung des Rechts auf ein würdiges Sterben hat die Grundlage geschaffen für eine Konkretisierung im Gesetz, die den assistierten Suizid reglementiert.1
Auswirkungen im Alltag
Der Kanton Waadt ist der erste Kanton, der den begleiteten Suizid in öffentlichen Pflegeeinrichtungen und Spitälern legalisiert hat. Jean-Jacques Bise beschreibt diese Entwicklung so: «Nachdem einige Alters- und Pflegeheime im Kanton Waadt die Durchführung des assistierten Suizids verweigert hatten, reichte die Vereinigung EXIT ADMD Suisse romande im Februar 2009 die Initiative <Assistance au suicide en EMS> ein. Am 17. Juni 2012 nahmen die Bürger*innen des Kantons Waadt den Gegenvorschlag des Staatsrates zu dieser Initiative an, nämlich Artikel 27d des Gesetzes über das öffentliche Gesundheitswesen. Dieser besagt, dass anerkannte Gesundheitseinrichtungen von öffentlichem Interesse eine von Patient*innen oder Bewohner*innen verlangten Suizidassistenz nicht verweigern dürfen, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind.2»
Transkantonale Wirkung
Nach dem Vorbild von Waadt haben Neuchâtel (2015), Genf (2018) und der Kanton Wallis (2023) Gesetze zur Suizidassistenz in Pflegeeinrichtungen und Spitälern erlassen.3 Auch im Kanton Nidwalden soll die begleitete Sterbehilfe in Pflegeeinrichtungen bald im Gesundheitsgesetz aufgenommen werden. Im Kanton Zürich wurde eine Volksinitiative eingereicht auf die der Regierungsrat kürzlich mit einem Gegenvorschlag reagiert hat. Das Recht in Würde zu sterben im Kanton Waadt und das darauf gestützte Sterbehilfegesetz in Bezug auf kantonale Pflegeeinrichtungen hat somit andere Kantone inspiriert. Auch international – zum Beispiel in Frankreich – hat das Recht in Würde zu sterben eine Debatte angeregt, etwa als der schweizerische-französische Filmemacher Jean-Luc Godard sich 2022 entschied, im Kanton Waadt Suizidassistenz in Anspruch zu nehmen.
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Galetti, Benedetta S. 2021. « L’assistance au suicide dans les institutions sanitaires publiques et privées ». ex/ante 2021 (1): p 48.
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Diese Bedingungen beziehen sich auf die Richtlinien der SAMW, der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften.
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Eine gute Übersicht bietet Hürlimann, Daniel. 2022. Recht und Medizin am Lebensende: menschenrechtliche Anforderungen und Regulierungsvorschläge. 1. Auflage. Neue Schriften zum Staatsrecht, Band 14. Baden-Baden : Basel: Nomos ; Helbing Lichtenhahn, p. 358 ff.